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Feriendomizil in Las Tunas

Zwischenstopps und Erlebnisse in Ecuador

In Las Tunas bitte ich den Busfahrer anzuhalten und bete darum, hier eine günstige Schlafmöglichkeit aufzutun. Als ich eine Señora hiernach frage, bietet sie mir an, mir ihr kleines Häuschen zu vermieten, welches sie sonst für Familienbesuche und wochenends als Küche für ihren Straßenverkauf nutzt. Wir handeln einen Tagespreis von 5 $ aus, mit dem ich mich nun zwar end­gültig vom Surfen verabschieden muss, der mir aber ein traumhaftes Feriendomizil für meine letzten Reisetage beschert: In den senfgelb, pastell­grün und sattem dunkelgrün gestrichenen Miniatur­räum­lichkeiten befindet sich nebst Küche und Bad ein richtiges Bett, eine Musikanlage inklusive hunderter lateinamerikanischer CDs und die obligatorische Hänge­matte!
Einzig die Wasserversorgung muss ich aus einem Brunnen schöpfend selbst bewältigen, aber das finde ich romantisch und beschließe nun, diese Tage endlich einmal zum Auspannen zu benutzen und die Erlebnisse der vergan­genen zwei Wochen sacken zu lassen.

Zu Beginn rechne ich mir mein noch zur Verfügung stehendes Tagesgeld aus:

  • 25 $ Gesamtkosten für 5 Übernachtungen
  • 17 $ Gesamtkosten für die Rückreise
  • 13 $ Notgeld für alle Fälle (Taxi bei Busproblemen, Übernachtung auf Rückreise bei Busproblemen, Telefon..)

Macht insgesamt also 55 $, abzuziehen von den mir zum Status Quo noch verbliebenen 67 $, was bedeutet, dass mir pro Tag etwas weniger als 3 Dollar zur Verfügung stehen und ich mich mit einer alltäglichen Mahlzeit, bestehend aus Reis, einer Kochbanane, einer Tomate und einer halben Zwiebeln begnügen muss, will ich nebenbei eventuell auch mal ein Feierabendbier am Strand genießen.

Pazifikküste Ecuador
© Anja Bosch / Pazifikküste in Ecuador

Sonnenuntergang in Las Tunas
© Anja Bosch / Sonnenuntergang am Strand von Las Tunas

Im Dorf bin ich die einzige Fremde (Übernachtungsmöglichkeiten für Touristen befinden sich etwas außerhalb in Richtung Norden entlang des Strandes), aber sobald ich die Initiative ergreife und freundlich grüße, bedenken mich die Costeños von Las Tunas mit einem Lächeln und grüßen zurück und so halte ich hier und da ein kurzes Schwätzchen mit den Einheimischen während ich durch den stillen Ort schlendere. Am Strand stürze ich mich mit den Dorfkindern in voller Montur in die Wellen (Badekleidung ist hier selten gesehen und nur in den touristischen Strandabschnitten üblich), backe Sandkuchen und spiele Geburtstag. Ein kleiner Junge leiht mir sein Bodyboard und so "surfe" ich zumindest im Liegen auf ein paar Wellen, was mir Bewunderung und lachende Kindergesichter beschert.
Als es dunkel wird ziehe ich mich in mein Häuschen in die Hängematte zurück, lasse die Tuer offen und meine Gedanken schweifen zu den Klängen der nostal­gischen Pasillos, die ich in der CD-Sammlung gefunden habe.
Später wird es mir dann doch ein wenig mulmig zumute, allein in dem fremden Ort an der Küste, die als generell etwas gefährlicherer Teil Ecuadors gilt. Bevor ich zu Bett gehe leuchte ich jeden Winkel des Häuschens mit meiner Stirnlampe aus, hange mir diese zum Schlafen um den Hals und lege mir ein großes Küchenmesser unters Kissen. Die Möglichkeit, dass es im Fall der Fälle wohl eher gegen mich verwendet, als mir helfen wird, versuche ich zu verdrängen.

Mitten in der Nacht schrecke ich auf, geweckt von einem tosenden Radau, der vom Vorraum her kommt und dann verstummt. Nach einigen, Adrenalin gefüllten Schreck­sekunden greife ich nach meinem Messer und mache mich auf, mich dem Feind zu stellen und ihn zum Kampf herauszufordern. Mit zitternden Knien im Vorraum angekommen stelle ich fest, dass ein Teil der Jalousie durch den starken Wind zerstört worden und heruntergefallen ist. Lachend begebe ich mich zurück ins Bett und falle in einen kurzen Schlaf, aus dem mich nur wenige Stunden später "Ana" schreiende Kinderstimmen reißen.
Nach einem Blick auf die Uhr, es ist 6:00 Uhr, die Sonne geht gerade auf, gebe ich mich geschlagen, beschließe die nächste Nacht zu schlafen und stehe auf. Nachdem sich die Kinder eine Stunde später verabschieden um in die Schule zu gehen, mache ich mich auf, die Küste in Richtung Süden entlang zu spazieren.
Hunderte von Krebsen unterschiedlicher Farben rennen seitwärts über den einsamen Strand, auf dem sich vornehmlich rote und grüne Steine, sowie diverse Muscheln befinden, die meine Sammlerwut entfachen. Im weiteren Verlauf des Spaziergangs finde ich außerdem einen Seestern, einen Seeigel und eines Sanddollar und kann mein Glück kaum fassen.
Als ich das Ende der Bucht erreiche mache ich einen weiteren Fund: meter­große schwarze Vögel mit roten Köpfen sitzen auf einem Felsen und machen einen irren Lärm. Langsam näher kommend (ich habe doch etwas Respekt vor diesem Schwarm) scheinen sie sich nur unwillig von dem Felsen trennen zu wollen, und nur langsam, zögerlich und laut schreiend macht sich einer nach dem anderen davon. Als ich den Felsen erreiche überkommt mich eine Mischung aus Faszination und Abscheu. Der "Felsen" ist eine tote Galapagos-Schildkröte immensen Ausmaßes, in deren Gliedmaßen sich mehrere, von den Vögeln gehackte, blutende Löcher befinden und die mich aus leeren Augen­höhlen anzustarren scheint...

Ich beginne zu akzeptieren dass ich, wenn ich mit offenen Augen dieses Land bereise, nicht wirklich "ausspannen" kann, sondern von einem Erlebnis ins nächste geworfen werde, ehe ich überhaupt erfassen kann was geschieht. Es ist wie von einem Zug zum nächsten zu springen. Die Züge sind Züge des Lebens von anderen Menschen, Städten und Landschaften. Für eine Zeit fahre ich in dieselbe Richtung, lasse die vorbeirauschende Lebenslandschaft auf mich ein­wirken und bekomme einen Einblick in deren Reiseroute, ehe ich aufs Dach steige und auf den nächsten Zug aufspringe, der eben gerade zufällig vorbei­kommt und in eine andere Richtung fährt.
So nehme ichs gelassen, als ich auf dem Rückweg meines Strandspaziergangs, etwas weiter entfernt vom Ufer, eine Süßwasserlagune entdecke, ebenfalls menschenleer, dafür aber besiedelt von mindestens 20 verschiedenen Vogel­arten und freilaufenden Pferden.
Abends gönne ich mir eine Flasche Bier in der farblich phantastisch harmonie­renden Atmosphäre des Sonnenuntergangs am Meer: Eine glühend orange­farbene Sonne verabschiedet sich langsam vom noch hell erscheinenden blauen Himmel; versinkt ins hellblaue glitzernde Meer, aus dem in der Ferne die dunkel­blaue Silhouette einer Insel emporragt. Irgendjemand hat am Strand ein orangefarbenes Feuer entfacht, welches nun einsam leuchtend vor sich hin­flackert, während ich auf der hellblau gestrichenen Brüstung der Strand­prome­nade unter dem orangefarbenen Licht der Straßenlaternen sitze und einem an mir vorbeiflanierenden Esel zuproste.

Anja Bosch, im Juni 2009 – Erlebnisse in Ecuador – Kapitel IV

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Fußnoten, Anmerkungen und Kommentare:

 

 

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