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Eine Zugfahrt nach Riobamba

Reisemomente und Erlebnisse in Ecuador

Eine andere Freiwillige hat mich in das Couchsurfingprojekt[1] eingeweiht. Auf einer Seite im Internet veröffentlichen aufgeschlossene gastfreundliche Men­schen aus aller Welt ihr Profil, um Travellern auf der Durchreise ihre Unter­stützung und einen Schlafplatz, oder aber zumindest eine Tasse Kaffe und Informationen zur je­wei­ligen Region anzubieten. Kostenlos, versteht sich. Im Vorfeld habe ich also die Gesichter und Bewertungen der weltoffenen Riobambaner studiert, von denen mir Pedro, ein 24-jaehriger Küchenchef, auf meine Anfrage hin sein Sofa fuer zwei Nächte verspricht.

Als ich nach einer 4-stündigen Busreise über den Pan American Highway, der sich übrigens durch ganz Südamerika zieht, bereits im Dunkeln am Bahnhof in Riobamba[2] ankomme, bin ich erleichtert, als ein junger Mann "Anja?" rufend auf mich zukommt. "Pedro?" frage ich, "No, soy Emilio" sagt der kleine untersetzte, backenbärtige Ecuatorianer und erklärt mir, dass Pedro leider keine Zeit habe, er sich selbst und seine Couch aber gerne zur Verfügung stelle. Ja klar, denke ich mir, und nachdem Du mich ausgeraubt, vergewaltigt und abgemurkst hast wirfst Du mich einfach in einen der die Gegend umgebenden Vulkankrater!
Fieberhaft überlege ich was ich tun soll und beschließe endlich, Emilio zu bitten, Pedro auf seinem Handy anzurufen um zumindest die Wahrheit seiner Aussage zu verifizieren. Zwar kenne ich Pedro ebenso wenig wie Emilio, dennoch erschien mir sein Profil im Internet recht sympathisch und vertrau­enswürdig. Pedro geht leider nicht an sein Handy, aber immerhin hat Emilio die Nummer von Pedro, die ich im Stillen schnell vergleiche, eingespeichert und scheint somit ein Freund von diesem zu sein.

Nach zögerlichem Abwägen des Risiko-Nutzen-Verhältnisses, und nachdem mir Emilio berichtet, mit seiner Schwester zusammenzuleben, nehme ich mir ein Herz und steige mit diesem in ein Taxi.

Während der Fahrt redet Emilio kaum mit mir, er ist in seinem Latino-Stolz etwas gekränkt und nimmt mir mein Misstrauen übel, was ich nach zwei­tägigem Genuss seiner Gastfreundschaft ein bisschen nachvollziehen kann. Nachdem wir uns noch am selben Abend meiner Ankunft mit seinen Freunden bei einem Tanzfestival inklusive Feuerwerk amüsieren, stellt er mir ohne zu Zögern sein Zimmer zur Ver­fügung und zieht sich hochanständig auf die Couch im Wohnzimmer zurück.

Am nächsten Tag führt er mich herum und ich bekomme die Gelegenheit das emsige Treiben in der Marktstadt zu bestaunen, die durch die Waren der huttra­genden und in Ponchos gehüllten indigenen Andenbewohner in tausend verschie­dene Farben und Gerüche getaucht zu sein scheint. An einer Straßen­ecke erwerbe ich eine Frucht, die einer Erbsenschote ähnelt, mit dem kleinen Unterschied, dass sie so lang wie mein Unterarm und so breit wie beide Unterarme ist. Die Hülse der so­genannten Guava ist steinhart und lässt sich nur mit grober Gewalt öffnen, belohnt dafür aber mit saftig-süssen pelzigen "Riesenerbsen" im Inneren, nach deren Verzehr man getrost auf das Mittag­essen verzichten kann.

Voll der neuen Eindrücke ergattere ich um 6:00 Uhr goldener Morgenstundzeit des folgenden Tages einen der letzten Plätze auf dem Zugdach der berühmten Lok von Riobamba. In einer fünfstündigen Fahrt Richtung Süden, während der ich zugegebe­nermaßen etwas high werde, was nicht nur an den 3000 Höhenmetern, sondern auch an meinem Platz direkt über dem Auspuff liegen kann, rauschen erneut faszinie­rende Bilder an mir vorbei, die diesmal von dem Leben der andinischen Bauern­bevölkerung geprägt sind.
Die Fahrt geht bei windiger Kälte mitten durch kultivierte Vulkan- und Berg­hänge, auf denen die hier etwas kleinwüchsigeren Indígenas in ihren typischen bunten Trachten von Hand ihre kleinen Felder bewirtschaften und Kühe und Esel hinter sich herziehen. Das ein oder andere Mal muss der Zug anhalten damit der Zugführer gemeinsam mit der Bäuerin, die zudem noch ein Kleinkind auf den Rücken gebunden trägt, ihren, uns aus grossen Augen anstarrenden Esel dazu überreden kann, die Schienen doch bitte zu verlassen. Abgerundet wird das Hochlandszenario vom immer am Horizont zu sehenden 6000 m hohen, schneebedeckten Chimborazo-Vulkan.

Anja Bosch, im Juni 2009 – Erlebnisse in Ecuador – Kapitel IV

Weiterlesen › Ecuador » Station in Cuenca

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Fußnoten, Anmerkungen und Kommentare:

1,2 von H. Müller

1 Das Couchsurfing Projekt wurde von der CouchSurfing International Inc. ins Leben gerufen, einer gemeinnützigen Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, auch weniger finanziell betuchten Mitmenschen das Reisen in ferne Länder zu ermöglichen. Ziel war es von Anbeginn an, ein Netzwerk von privat ver­mittelten und kostenfreien Unterkünften zu schaffen. Wer sich am Couch­surfing Projekt beteiligt, derjenige kann vor Reisebeginn mit einem Gastgeber am Zielort seiner Reise Kontakt aufnehmen und bekommt einen Schlafplatz auf dessen Couch angeboten. Alles ohne finanzielle Hintergedanken, dennoch, kleine Geschenke und Aufmerksamkeiten ver­tiefen zuweilen die Freundschaft.


Impressionen einer Zugfahrt von Quito nach Riobamba
Train from Quito to Riobamba

Eine Zugfahrt in Ecuador ist nicht unbedingt mit europäischen Verhält­nissen vergleichbar, sondern dürfte dem durchschnittlichen Mitteleuropäer eher wie ein kleineres bis mittleres Abenteuer erscheinen.

Am besten Sie schauen sich das kurze Video mit den Impressionen einer Zugfahrt von Quito nach Riobamba an, denn Bilder sagen oftmals mehr als tausend Worte.

2 Riobamba ist die Hauptstadt der ecuadorianischen Provinz Chimborazo, gele­gen in einem Becken der Anden. Die Stadt liegt rund 2750 Höhenmeter über dem Meeresspiegel. Riobamba ist umgeben von einigen schnee­bedeckten und zum Teil noch aktiven Vulkanen. Erwähnenswert ist weiter­hin, dass Riobamba ein bedeutender Verkehrsknotenpunkt des Landes ist.
Riobamba war einst das Zentrum der Puruhá-Kultur, bis die Puruhá (Ethnie der Kichwa) von den Inkas unterworfen wurden. Heute leben schätzungsweise noch 200.000 Puruháes in cirka 780 Gemeinden rund um Riobamba bzw. in der Provinz Chimborazo. In der Nähe von Riobamba liegt der über 500.000 Hektar große Sangy-Nationalpark, der zum Welt­natur­erbe der UNESCO gehört. Im Nationalpark leben unter anderem Brillen­bären, Tapire und Andenkondore.

 

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