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Zivilcourage der Römer

Italienisches Temperament und Schimpftiraden

Wieder zu Hause angekommen werde ich Zeitzeuge des einzigartigen italieni­schen Temperaments.

Als ich in unsere Straße einbiege fliegen gerade Kleiderstücke und Schuhe aus dem Fenster unserer Wohnung im 5. Stock, die mit unflätigen Ausdrücken un­seres Mit­bewohners Antonio begleitet werden.
Die Erklärung für die fliegenden Designerteile finde ich 5 Stockwerke höher. Antonio hat sich mit seiner Freundin gestritten und ist nun dabei sie Stück für Stück vor die Tür zu setzten, bzw. aus dem Fenster zu werfen. Zum Glück können wir Antonio etwas besänftigen und wenn schon nicht ihr Hausstand, so darf wenigstens Maria selbst doch noch zu Fuß und durch das Treppenhaus die Wohnung verlassen.
Zwei Tage später zieht sie wieder bei uns ein. Herrlich! Diese italienischen Schimpftiraden! Als ich vor sechs Jahren mit meiner 18-jährigen, wirklich süßen und lieben Gastschwester das erste Mal im Auto fuhr, traf mich schier der Schlag. Dieses sommersprossige süße Ding, das immer versuchte, es allen und jedem recht zu machen, sich stets zehnmal bedankte und tausendmal ent­schuldigte, fluchte neben mir wie ein alter Seemann!
Damals schrieb ich mir sofort alle Ausdrücke auf, die ich von ihr aufschnappen konnte um sie später als waschechte Römerin selbst anwenden zu können. Leider steckte das deutsche Anstandsbenehmen wohl doch zu tief in mir, und ich habe noch nicht einmal Gebrauch davon gemacht als ich im Bus begrapscht wurde. Dafür tue ich es dieses Mal, als mir wieder so etwas passiert. Damals bin ich einfach so schnell ich konnte zur Türe geflüchtet, aus dem Bus gestolpert und fühlte mich schrecklich. Danach schwor ich mir: Sollte mir so etwas noch einmal passieren würde ich zuschlagen und ein Gezeter an den Tag legen, das sich gewaschen hat! Das Opfer würde nicht mehr ich sein, sondern der Übel­täter!

Gesagt, getan, sechs Jahre später bietet sich hierzu die Gelegenheit, als ich in der Tram auf dem Nachhauseweg bin. Ich stehe schon an der Tür und sehe seitlich aus dem Augenwinkel wie sich der Mann, der neben mir sitzt bückt, als wolle er etwas aufheben. Kurz darauf spüre ich seine widerliche Hand auf meinem Hintern. Ich fahre herum, endlich, endlich, tut sich mir die Gelegenheit auf, meinen Racheplan an diesen Männern in die Tat umzusetzen. Ich schlage mehrmals auf ihn ein und schimpfe und fluche was das Zeug hält. Ich spreche alle Verwünschungen aus, die ich jemals auf Italienisch gehört habe und danke im Stillen meiner Gastschwester.
Der Mann ist so verblüfft dass er erst gar nicht reagiert, bis er anfängt meine Schläge, die auf sein Gesicht zielen abzuwehren. Sofort fragt mich ein weiterer Fahrgast was passiert sei, und bietet mir an die Polizei zu rufen. Bevor ich antworten kann, ist er schon dabei, den Beamten mittels Handy den Vorfall zu schildern. Von da an kommt mir alles vor wie ein Film. Die Sache verselb­ständigt sich total, ich kann nur noch zusehen und mein Herz schlagen hören.
Der Grapscher, ein unauffälliger Typ Mitte Vierzig hat das Telefonat gehört und macht sich daran die Flucht zu ergreifen. Sofort stürzen sich drei Männer auf ihn, halten ihn fest und betiteln ihn als Widerling, der nun die Konsequenzen tragen müsse. Aber der Typ reißt sich an der nächsten Haltestelle los und rennt zur Türe, gerade noch kann ihn ein Jugendlicher am Aussteigen hindern.
Irgendjemand zieht die Notbremse, von hinten kommen Omas und kleine Jungs die mir gleichermaßen zu meiner Schlagkräftigkeit gratulieren und ich stehe einfach nur da und spüre wie das Adrenalin aus meinem Körper weicht.

An dieser Stelle möchte ich der Zivilcourage der Italiener Tribut zollen, die sich sofort auf meine Seite gestellt haben, und mich so tatkräftig unterstützten. Bis die Polizei kam dauerte es fast eine halbe Stunde, in der die Bahn stillstand und keiner ein- oder aussteigen konnte, doch kein Mensch meckerte oder be­schwerte sich dass er zu spät kommen würde. Im Gegenteil, ich erfuhr große Unterstützung und Zu­stimmung, dass das Übel in Form solcher Männer ein Ende haben müsse und alle Frauen, denen so etwas widerfahren würde, so reagieren müssten wie ich.

Auf der Polizeiwache erfahre ich dass der Prozess in circa drei Jahren statt­finden wird, sie wuerden mich dann benachrichtigen. Lachend verlasse ich das Gebäude. Seine Lektion hat er trotzdem bekommen. Dreißig Minuten in einer stehenden Bahn, bloßgestellt vor mindestens 40 Menschen, die ihn anstarrten und beschimpf­ten.

Anja Bosch, im Februar 2009

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